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«Genf könnte zu einem neuen Kompetenzzentrum werden, das in allen Dimensionen der Drogenpolitik anerkannt wird.»

Ausgabe Nr. 89
Nov. 2011
Internationales

5 Fragen an Jean-Félix Savary. Am 19. Oktober veranstaltete das Groupement Romand d’Etudes des addictions (GREA) eine Tagung unter dem Titel «50 Jahre Drogenprohibition». Wir sprachen mit Jean-Félix Savary, dem General­sekretär des GREA, über die Hintergründe.

Das erste UNO-Übereinkommen über Betäubungsmittel wird 50 Jahre alt. Warum organisiert das GREA eine Tagung, um diesen Geburtstag zu markieren?

Das geltende Prohibitionssystem für Drogen ist relativ jung. Das erste UNO-Übereinkommen stammt von 1961. Noch im dritten Abkommen von 1988 werden die Vereinigten Staaten aufgefordert, den Drogenkonsum unter Strafe zu stellen. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte die Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission einen Bericht zugunsten der Entkriminalisierung des Konsums. Es ist also ein umstrittenes System, das – aus einer langfristigen Perspektive – eher eine Ausnahmestellung innehat. Nach 50 Jahren Praxis ist es an der Zeit, die Wirkung des Systems zu beurteilen. In der Tat stehen zahlreiche geopolitische Phänomene direkt mit dem derzeitigen System in Zusammenhang: Kriege, Korruption, Migration, Umweltschutz, Rechte der Ureinwohner usw. Umso wichtiger ist es, das Ganze aus einer gewissen Distanz zu betrachten, um die Problematik in ihrer Gesamtheit zu erfassen.

Welche Vision liegt den drei Übereinkommen zugrunde? Welcher Zusammenhang erklärt den «Geist von Wien»?

Das System der UNO-Konventionen widerspiegelt die Position ihrer Mitglieder. Es verharrt dementsprechend mehrheitlich auf einem traditionellen Bild des Phänomens Drogen: Das Problem ist das Produkt. Eliminiert man den Drogenmarkt, eliminiert man mit gleichen Kosten die aus ihm entstehenden Schwierigkeiten. Diese einfache Überlegung kann dazu führen, sich Illusionen zu machen. Die Realität hingegen hat sich seither weiterentwickelt – und zahlreiche Länder haben begonnen, die Frage differenzierter zu betrachten, indem sie neben dem Produkt auch die Variablen der Umwelt (Kontext) und des Individuums (Lebenslauf) mit einbeziehen. Diese oft durch die Akteure im Feld vorangetriebenen Veränderungen haben es schwer, sich in der Gesetzgebung zu verankern. Das internationale System ist nur die Spiegelung dieser Wirklichkeit.

Welche Elemente der Übereinkommen sind nach Ihrer Einschätzung im heutigen Zusammenhang wirksam?

Der internationale Drogenhandel muss strikt geregelt werden – das ist offensichtlich. Man muss also die internationalen Institutionen mit ausgedehnter Machtbefugnis unbedingt beibehalten, die erlauben, den Handel und der Vertrieb der verschiedenen psychotropen Produkte zu regulieren. Diese Aufgabe muss klar von der ideologischen Komponente unterschieden werden, die ihr beigefügt worden ist, dem «Krieg gegen die Droge». Die internationale Gemeinschaft kann die «guten Praktiken» fördern, um die wirksamen Antworten auf die verschiedenen Probleme zu unterstützen. Das Beispiel der Schweiz zeigt auf, dass es die lokalen Erfahrung sind, die erlaubt haben, erhebliche Fortschritte zu machen. Man muss also den Staaten mehr Spielraum lassen.

Sind Sie angesichts der laufenden Entwicklungen der Meinung, dass Veränderungen möglich sind? Und falls ja, in welchem Zeitraum?

Am heftigsten kritisiert wird heute der fehlende Wille, überhaupt auf das Thema einzugehen. Eine Frage zu stellen, wird schon als «Zugeständnis» an die Drogen aufgefasst. Bei der Revision der politischen Erklärung und der Aktionspläne Drogen der UNO im Jahre 2009 war der Kontrast zwischen dem pragmatischen Konzept und dem ideologischen Konzept verblüffend. Die harte Linie wurde durchgezogen, und die Texte haben sich nicht verändert. Jedoch haben die angeregten Debatten auch gezeigt, dass die Positionen sich stark entwickelt hatten. Die Europäische Union hat mit Kraft und einer «relativ einheitlichen» Stimme gesprochen. Zahlreiche Stimmen von südlichen Ländern prangerten die Verwüstungen des «Kriegs gegen die Drogen» an, welche in ihren Bevölkerungen angerichtet werden. Die dieses Jahr als «Global Commission on Drug Policy» neugegründete lateinamerikanische Kommission «Drugs and Democracy» macht ebenfalls deutlich, dass Veränderungen im Gange sind. Diese Kommission ist eine beeindruckende Tribüne internationaler Führungspersonen aus allen politischen Richtungen, die eine gründliche Reform des Systems der UNO-Konvention fordern.

Welche Rolle kann Ihres Erachtens die Schweiz in diesem Prozess spielen?

Die Schweiz ist Mitglied der UNO-Betäubungsmittelkommission (CND) und kann in der internationalen Gemeinschaft viel zu den laufenden Überlegungen beitragen. Die Schweizer Diplomatie hat sich stark der Frage der Menschenrechte verpflichtet. Dies ist eine andere, sehr wichtige Dimension der Drogenpolitik. Erinnern wir uns nur daran, dass Drogenkonsum in rund 50 Ländern nach wie vor mit dem Tod bestraft wird. Heute ist das OICS (internationales Kontrollorgan für Betäubungsmittel) mehr damit beschäftigt, die begrenzten Entkriminalisierungserfahrungen zu verurteilen als die öffentlichen Hinrichtungen von Drogenkonsumierenden in Asien oder die Ausbreitung von HIV. Die Schweiz mit ihrer grossen Erfahrung hinsichtlich der Drogenpolitik, die auf einem gut dokumentierten Public-Health-Konzept beruhen, und ihrer Verpflichtung für die Menschenrechte verfügt über die nötige Glaubwürdigkeit, um die Diskussionen in diesem Bereich voranzutreiben. Wir freuen uns darüber, dass die Schweiz in den jüngsten Jahren aktiver geworden ist. Drogenpolitik umfasst Konfliktbewältigung, gute Regierungsführung und Entwicklung des ländlichen Raumes, alles Bereiche, in denen sich die Schweiz auf dem internationalen Niveau bereits sehr profiliert hat. Genf, das so viele internationale Organisationen beherbergt, könnte zu einem neuen Kompetenzzentrum werden, das in allen Dimensionen der Drogenpolitik anerkannt wird. Wir wünschen, dass der Bund diese Akteure unterstützt, denn sie teilen dieselben Ziele wie unsere Diplomatie.

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